Ein ungeliebtes Erbe

Text Hartmut Topp, Ralf Huber-Erler

Die autogerechte Stadt ist heutzutage ein ähnlicher Schreckensbegriff wie Urbanität durch Dichte. Straßendurchbrüche, Stadtautobahnen und Hochstraßen haben weder für Autofahrer noch für die anderen Stadtnutzer eine Verbesserung gebracht: Die einen stehen im Stau, die anderen müssen sich nur zu oft mit den unschönen Restflächen begnügen. Wir stellen deutsche Städte vor, die gemeinsam mit ihren Bürgern den Rückbau wagen – und zeigen zwei mutige Initiativen gegen das Autochaos in Antwerpen und Athen.

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Pforzheim. Schlossberg ohne Schlossberg-Auffahrt.

Auch Pforzheim leidet heute noch unter dem autogerechten Wiederaufbau seiner Innenstadt nach dem verheerenden Bombenangriff vom 23. Februar 1945. Ein besonders prägnantes Beispiel damaliger Planungsmentalität ist die Anfang der sechziger Jahre gebaute Schlossberg-Auffahrt.

Der Schlossberg mit der Schlosskirche ist die Keimzelle und zusammen mit dem Marktplatz die historische Mitte von Pforzheim. Vor der Zerstörung war das Schlossberg-Quartier Teil der Altstadt mit ihrem Netz schmaler Gassen. Jetzt wird es von der Schlossberg-Auffahrt dominiert. Als Fremdkörper im historischen Stadtgrundriss stört diese das städtebauliche Potenzial des topografisch, historisch und kulturell sensiblen Bereichs. Die Auffahrt ist bisher Teil des Innenstadtrings mit einer Verkehrsbelastung von ca. 13.500 Kfz und ca. 140 Bussen des regionalen ÖPNV pro Werktag. Der Verkehrsentwicklungsplan der Stadt von 2010 definierte zur Entlastung der Innenstadt zwar einen neuen, im Süden und Osten weiter gefassten, Innenstadtring auf bestehenden Straßen, hielt aber an der Schlossberg-Auffahrt als Teil des „Parkrings“ für das Parkleitsystem fest. 2012 wurde die Straße in einem Werkstattverfahren zur baulichen Neuordnung der östlichen Innenstadt grundsätzlich in Frage gestellt.

Eine Sperrung der Schlossberg-Auffahrt würde Teile des erweiterten Innenstadtrings mit mehr Verkehr belasten. Wie eine Studie zum Verkehrskonzept der Innenstadt (topp.plan und R+T) zeigt, wäre dieser jedoch an fast allen Knotenpunkten durch Anpassungen in der Signalsteuerung und Änderung der Spuraufteilung zu bewältigen, nur an einem käme es in Spitzenzeiten zu (unkritischen) Verkehrsverlagerungen. Die Sperrung für den motorisierten Individualverkehr ist also machbar. Allerdings reichen die dadurch eröffneten Möglichkeiten des Rückbaus für eine Neuordnung, die dem historisch und kulturell bedeutsamen Ort angemessen wäre, bei weitem nicht aus. Ziel muss sein, die Straße auch für den öffentlichen Verkehr zu sperren, sie also komplett aus dem Netz zu nehmen. Es bliebe dann nur noch eine schmale, verkehrsberuhigte Erschließungs-Stichstraße im oberen Bereich, was der historischen Situation entspräche.

Während die Sperrung für Privatfahrzeuge wenig kritisch erscheint, gab es beim ÖPNV lange Diskussionen, weil die erforderlichen Linienverlegungen entweder zur Verlängerung der Umlaufzeiten oder zur Aufgabe einer wichtigen Haltestelle führen würden. Der Verlust der Haltestelle könnte durch einen Schrägaufzug (oder einen in eine künftige Bebauung integrierten Senkrechtaufzug) zum 22 Meter höher gelegenen Busbahnhof abgemildert werden – bei der bergigen Topografie der Stadt und ihrer alternden Bevölkerung ein Gewinn für alle. Die Verlängerung der Linienwege durch die westliche Innenstadt würde das öffentliche Verkehrsnetz dort deutlich verbessern. Die Schlossberg-Auffahrt aufzugeben, ist auch aus Sicht des ÖPNV realistisch. Im Februar dieses Jahres hat sich der Gemeinderat mit breiter Mehrheit von 29 zu 8 dafür ausgesprochen.

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read full article: www.bauwelt.de, 24.14, 27. Juni 2014.
more information: Innenstadtentwicklung-Ost, Pforzheim.